Wofür?
Im Rahmen kultureller Transformationsprojekte stehen wir anfangs oft vor Fragen wie: Wo stehen wir aktuell in Bezug auf unsere Organisationskultur? Welche Ausprägungen von Kultur haben wir in unserer Organisation? Wie finden wir einen guten Einstieg in das Gespräch mit unseren Mitarbeiter:innen? Welches Verständnis von Purpose herrscht vor – und wie können wir die Erwartungen von Management, Mitarbeitenden und Kunden in Einklang bringen? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass oft das Sammeln von Geschichten ein optimaler Einstieg in ein Kulturprojekt ist. Geschichten verbinden bereits «jetzt» – also zu einem beliebigen
Zeitpunkt – Mitglieder von Organisationen mit Stakeholdern, indem sie das Wissen und die Erfahrungen aus der Historie bündeln und die Wette auf die Zukunft (Antenarrativ) implizit beinhalten. Wer Geschichten erzählt, berichtet automatisch aus seinem Inneren und über seine Beziehungen zu anderen – dieses Tool ist daher universal geeignet, um emotionale Verbindungen in einer Organisation zu schaffen.
Beispiel
Zwei Organisationen kommen im Rahmen eines Akquisitionsprozesses neu zu-
sammen. Lassen Sie uns das Beispiel zweier Medizintechnikunternehmen verwenden, die ihre Geschäftsmodelle verknüpfen und gemeinsam erfolgreich in die Zukunft starten möchten. Das übernehmende Unternehmen sitzt in Europa, das andere in den USA. Das Management der übernehmenden Organisation hat das Gefühl, dass im Zusammenbringen beider Kulturen ein wesentlicher Hebel für die Akquisition insgesamt liegt: Die Kulturen so zu verschmelzen, dass bei den Mitarbeiter:innen eine gemeinsame Motivation entsteht, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung der Merger-Strategie und die Transformation insgesamt. Im Rahmen des Story Sourcing werden Geschichten der Mitarbeiter:innen und Kund:innen gesammelt, um daraus eine tragfähige und resonante Zukunftsgeschichte für das Merger-Projekt insgesamt zu entwickeln.
Worauf es ankommt
- Beim Sammeln von Geschichten kommt es in erster Linie auf die Fähigkeit des Zuhörens an. Wir interviewen nicht im Stil von Unternehmensberatern anhand fixer Checklisten und führen auch keine «Assessments» durch. Es geht darum, konkrete Situationen und Begebenheiten aus der Welt der Interviewten in Erfahrung zu bringen.
- Interviewer:innen begeben sich daher in die Rolle und Haltung von Moderator:innen, die Neugier ausstrahlen und Gesagtes nicht bewerten, sondern eher immer wieder nachhaken, um Bilder (Metaphern) und auch einzelne Details zu erfahren.
- Ein wichtiges Element besteht darin, zu Beginn des Interviews oder Gesprächs die Intention des Story Sourcings zu klären: Ordnen Sie die Intervention in den laufenden Transformationsprozess ein und erklären Sie, dass Sie Einblicke in den emotionalen Kompass der Organisation gewinnen möchten.
- Anstatt einen fixen Fragebogen abzuarbeiten, führen Sie die Teilnehmer:innen zu sozial-emotionalen Prompts und bitten sie damit, sich in konkrete Situationen hineinzuversetzen. Diese Vorgehensweise öffnet das Gespräch und erlaubt ein offenes Teilen von Geschichten auch im Gruppenkontext.
- Fokussieren Sie das Gespräch auf einen, maximal zwei Prompts. Um Einblicke in die Kultur zu gewinnen, eignen sich vor allem die beiden folgenden Prompts:
- Erfolg – um die Prinzipien und Mechanismen kennenzulernen, die in der Organisation funktionieren
- Purpose – um zu ermitteln, was den Teilnehmer:innen persönlich am Herzen liegt und wie die Organisation «tickt».
Schritt für Schritt
Schritt 1 – Vorbereitung
- Definieren/überarbeiten Sie die Fragen, um sie an den spezifischen Kontext und Zweck anzupassen.
- Planen Sie Interviews oder Gruppentermine für 60 Minuten ein.
- Finden Sie einen ruhigen Ort für das virtuelle oder persönliche Gespräch.
- Besorgen Sie sich Informationen über den/die Interviewpartner:in und seine/ihre Organisation.
- Wenn mehrere Interviewer das Interview führen werden, vereinbaren Sie die Rollen (Hauptinterviewer, Notizen machen).
Schritt 2 – Einstellen auf das Gespräch
Bevor Sie den/die Interviewpartner:in treffen, planen Sie eine ruhige Vorbereitungszeit oder Stille ein, zum Beispiel 15 Minuten – somit öffnen Sie sich, um unvoreingenommen in das Gespräch zu gehen.
Schritt 3 – Gespräch führen
Beginnen Sie das Gespräch. Verwenden Sie die Beispielfragen unten zur Inspiration, weichen Sie aber davon ab, damit das Gespräch seine eigene Richtung entwickeln kann. Bitten Sie um die Erlaubnis, das Gespräch für die weitere, anonymisierte Bearbeitung der Geschichten im Rahmen
des Story Sourcing aufzuzeichnen!
Schritt 4 – Reflexion über das Interview
Nehmen Sie sich unmittelbar nach dem Interview etwas Zeit für einen Rückblick:
- Was ist mir besonders aufgefallen? Was hat mich überrascht?
- Was hat mich berührt?
- Gibt es etwas, das ich weiterverfolgen sollte?
Schritt 5 – Zusammenfassung
Nachdem alle Interviews abgeschlossen sind, überprüfen Sie die Interviewdaten, fassen Sie die Story-Passagen zusammen und erfassen Sie diese ggf. auf dem Board für das Story Mapping.
Schritt 6 – Dank
Schliessen Sie die Feedbackschleife: Senden Sie nach jedem Interview ein Dankeschön!
Musterfragen für Story Sourcing mit Mitarbeitenden
- Intention klären (Beispiel): «Wir arbeiten heraus, wie die Menschen bei [Ihre Organisation] die aktuellen Herausforderungen meistern, und möchten herausfinden, was die Erfolgsfaktoren unserer Kultur sind, die es in Zukunft zu stärken gilt.»
- Erfolgs-Prompt: «Erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie ein inneres Glücksgefühl hatten, weil Ihnen etwas gelungen war, was nicht einfach zu erreichen war oder zunächst unlösbar erschien? Was fällt Ihnen dazu ein?»
- Purpose-Prompt: «Stellen Sie sich vor, Sie kommen morgens zur Arbeit und auf dem Weg dorthin stellt sich ein Lächeln ein, weil Sie bereits das Gefühl haben, dass das, was an diesem Tag passieren wird, wirklich Sinn ergibt. Es ist ein erfüllender Arbeitstag. Wie sieht ein solcher Arbeitstag für Sie aus?»
- Versuchen Sie zu beiden Prompts vertiefende Fragen zu stellen, um mehr zu den beteiligten Personen und den Emotionen, die im Spiel waren, zu erfahren:
- Was ist genau geschehen? Welche Personen sind in diesem Zusammenhang wichtig und warum?
- Wie zeigt sich an diesem Beispiel das Beste, was die Organisation aktuell kann?
- Auf welche Faktoren kommt es an, um dieses Beispiel zu etwas Besonderem zu machen?
- Schliessen Sie das Gespräch mit einem Ausblick auf wichtige Veränderungen und disruptive Elemente in der Kultur.
Rahmenbedingungen
Dauer: ca. 1 Stunde (plus etwas Vorbereitungszeit)
Format: virtuell (z. B. Videokonferenz begleitet durch virtuelles Whiteboard) oder persönlich
Teilnehmende: Einzelinterviews oder in Teams (skalierbar für Grossgruppen)
Weitere Informationen zum diesem und anderen Tools zur Bewältigung geschäftlicher Herausforderungen mit kommunikativen Mitteln finden Sie im Buch
